Mittwoch, 7. Januar 2015

Wenn das der Führer wüsste...

Als ich heute zur Arbeit kam, begrüßte mich die Redaktionssekretärin Irmtraud Lücking gleich mit den Worten: "Hasso Wieting hat uns mal wieder eins seiner Gedichte geschickt." 
Ich stöhnte unwillig auf und fragte mit säuerlicher Miene: "Und wie schlimm ist es?"
"Keins von den ganz Schlimmen", entgegnete Irmtraud achselzuckend. Das konnte nun allerdings alles Mögliche bedeuten. 

Ich erinnere mich noch ganz genau an das allererste Gedicht von Hasso Wieting, das ich jemals im Landkreisboten gelesen habe - lange bevor ich selbst Redakteur bei dieser ruhmreichen Zeitung wurde. Es hieß 'Wat us dat Läben lehrt', und schon die erste Strophe ließ mir die Galle übergehen. 

"Wenn een as Jung' nich mal in'n Droom
klaut Appels vun sien Nahbers Boom - 
wer för de Annern böögt sien Nacken,
wer kien jung Dirn' in't Bett kann snacken - 
de treckt sik säker noch as Mann 
de Büxen mit de Knieptang an!" 

"In't Bett snacken", so so. Einmal ganz abgesehen von den sonstigen Qualitäten dieser Verse fand ich es mehr als geschmacklos, wie dieser alte Sack, der Hasso Wieting schon damals war, seine sexuellen Phantasien in Bezug auf junge Mädchen vor den Zeitungslesern ausbreitete. In der zweiten Strophe wurde er dann politisch - beziehungsweise, wie man es in jenen Jahren auszudrücken pflegte, politikverdrossen

"Wer braav sien Krüüz makt bi de Wahlen
un denkt: 'Dat ward sik utbetahlen', 
wer meent, dat sik dat so gehöört, 
wie disse Lüüd us' Land regeert, 
wer de Politikers vertruut, 
de hett sien Huus up Treibsand buut!" 

Die weiteren Strophen wurden dann tendenziell harmloser und prangerten nur noch den naiven Glauben an Werbung, Wetterbericht und Horoskope an, aber ich war bereits ausreichend empört, um bei nächster Gelegenheit den damaligen Redaktionsleiter zu fragen, wie um alles in der Welt man so etwas veröffentlichen könne. "Die Frage ist vielmehr", erwiderte der Kollege trocken, "wie man es nicht veröffentlichen kann." 

Heute, da ich selbst Lokalredakteur beim Landkreisboten bin, weiß ich, wie er das gemeint hat. Es ist tatsächlich nicht so einfach, die Veröffentlichung eines Gedichts von Hasso Wieting abzulehnen. Hasso Wieting, pensionierter Finanzbeamter mit einem reizenden Häuschen in Griesenborn, einem Flecken der Gemeinde Möhlenbeek, ist nicht einfach irgendein reaktionärer alter Schnarchsack mit einem unheilvollen Faible für das Schmieden plattdeutscher Verse, sondern ein enorm einflussreicher reaktionärer alter Schnarchsack. Er war lange Jahre Mitglied des Gemeinderats von Möhlenbeek (für die 'Unabhängigen'), ist in unzähligen Vereinen der Samtgemeinde aktiv, teilweise - wie bei den Kyffhäusern oder im Volkstumsverein - sogar Ehrenmitglied; bei der Freiwilligen Feuerwehr ist er Ehrengemeindebrandmeister, und, was mich bei seinem fragwürdigen Demokratieverständnis und seinem beständigen Wettern über 'die Politik' ernsthaft in Erstaunen versetzt: Er ist sogar Träger des Bundesverdienstkreuzes. 

Bei offiziellen Anlässen, bei denen er eine Chance wittert, auf ein Zeitungsfoto zu kommen - und tatsächlich hat er bei seinem Ansehen ziemlich oft die Chance dazu -, trägt er sein Bundesverdienstkreuz  gern gut sichtbar am Jackett. Kürzlich zum Beispiel beim Neujahrsempfang auf Gut Rössingen. Leider bin ich da nicht nah genug an ihn herangekommen, um mich zu überzeugen, ob es wirklich ein echtes Bundesverdienstkreuz ist - oder ob da vielleicht irgendwo ein Hakenkreuz drauf ist. 

Ich muss übrigens betonen, dass das oben zitierte Gedicht 'Wat us dat Läben lehrt' keinesfalls zu Hasso Wietings schlimmsten gehört. Ja, selbst ein Gedicht, das er offenbar ursprünglich für einen Kameradschaftsabend der Kyffhäuser geschrieben hatte und in dem die Tapferkeit der deutschen Landser des Zweiten Weltkriegs, sofern diese "bit tolest" bei der Fahne geblieben seien, gepriesen, die "Desertöörs" hingegen als "Verräter" und "feiget Lumpenpack" geschmäht wurden, gehörte noch nicht zu seinen schlimmsten. Übler war da schon ein Gedicht über den Drogenkonsum der heutigen Jugend, von dem mir vor allem das unsterbliche Verspaar "Haschisch, Koks un Heroin / fleuten sik de Kiffers rin" im Gedächtnis geblieben ist und das auf die Aussage hinauslief, Drogensüchtige könnten gar nichts Besseres tun, als sich per Überdosis "över'n Jordan" befördern - dann fielen sie Staat und Gesellschaft wenigstens nicht mehr zur Last. Und als jüngst, in der Adventszeit, im Landkreisboten ein Artikel über im Nachbarlandkreis aufgenommene syrische Bürgerkriegsflüchtlinge  erschien, die im Zuge eines Integrationskurses unter anderem lernten, Weihnachtsplätzchen zu backen, antwortete Hasso Wieting mit einem Gedicht, dessen Pointe lautete: 

"Könnt wi denn selber nich mehr backen? 
Wat bruukt wi darto de Kanaken?" 

In diesen und einigen anderen Fällen musste ich in meiner Eigenschaft als Redakteur dann doch einschreiten und die Veröffentlichung ablehnen. Obwohl das, wie schon gesagt, gar nicht so einfach ist. Im Grunde bleibt einem, um den verbohrten Altnazi nicht vor den Kopf zu stoßen, nicht viel Anderes übrig, als ihn behutsam darauf hinzuweisen, dieses Gedicht sei womöglich etwas zu kontrovers für die Leserschaft des Landkreisboten, und ihn höflich zu bitten, aus Rücksicht auf eventuell andersdenkende Leser lieber ein anderes Gedicht mit weniger konfliktträchtiger Thematik zu schicken. Vermutlich bestärkt ihn das in seiner Überzeugung, der letzte richtige Kerl in einer Welt voller Weicheier zu sein, und das schmeichelt ihm; jedenfalls gibt er in der Regel nach. Der einzige Haken an der Sache ist: Was er einem dann schickt, das muss man drucken. 

Ich nahm also all meine Selbstbeherrschung zusammen, um mir anzusehen, was der Herr Ehrengemeindebrandstifter, äh nein, ich meine: -meister uns diesmal so beschert hatte. 'Us' Heimat mööt wi ehren!', war das Gedicht betitelt, na wie schön. 

"De Paster hett us darmols lehrt: 
'Wer Vadder un' ok Mudder ehrt, 
de schall lang läben up de Eerd
up dat Land, dat em togehöört." 

Nanu, dachte ich halb belustigt, halb irritiert, eine Predigt über das 4. Gebot? Arbeitet Hasso Wieting neuerdings auch als Ghostwriter für die evangelischen Pastoren der Samtgemeinde, die ihre Schäfchen drei-, vier-, fünfmal im Jahr mit plattdeutschen Gottesdiensten beglücken? Aber nein, das Gedicht schlug bald eine andere Richtung ein, indem es die Mutterliebe mit der Heimatliebe gleichsetzte: Die Heimat, unser aller Mutter - die Erde, der wir entsprossen sind. Das roch alles recht streng nach Blut und Boden, aber immerhin forderte der alte Sack in diesem Gedicht nicht die Wiedereinführung der Prügelstrafe in der Schule oder der Todesstrafe im Strafvollzug, und er hetzte ausnahmsweise auch mal nicht gegen Migranten oder gegen die Empfänger staatlicher Sozialleistungen. So gesehen war das Gedicht also tatsächlich eines seiner erträglicheren. 

Gleichwohl schwadronierte Hasso Wieting auch hier wieder ausgiebig über seine Lieblingsbegriffe Ehre, Pflicht und Sitte, bis das Gedicht schließlich in den Versen gipfelte: 

"Wenn all', de an dat Gode glöövt, 
un' all', de use Heimat leevt, 
de't Hart hebbt an den rechten Fleck 
tosam'steiht för den goden Zweck 
denn schall ick dat woll noch erläben, 
dat wi us all' de Hand könnt geben."  

(Erstaunlich finde ich es, nebenbei bemerkt, dass jemand, der das Plattdeutsche so oft und so emphatisch als 'Us' Moderspraak' verherrlicht, so ein unfassbar schlechtes Platt schreibt. Im Grunde sind seine Gedichte in einer kruden Mischung aus Platt- und Hochdeutsch verfasst; "Fleck" zum Beispiel müsste im hiesigen Dialekt eigentlich "Plack" heißen, und "erleben" heißt hierzulande auch nicht "erläben", sondern "beläben" - eigentlich sogar "beleven", aber das sähe wohl dem englischen "believe" zu ähnlich, das ja etwas ganz Anderes bedeutet. Ob unser Samtgemeinde-Poet mit solchen Schummeleien sicherstellen will, dass auch solche Leser, die nur über begrenzte Dialektkenntnisse verfügen, seine Message mitkriegen, ob der Reimzwang schuld ist oder ob er es wirklich nicht besser kann, sei mal dahingestellt.) 

Auf den ersten Blick wirkte dieser Gedichtschluss jedenfalls harmonisch genug, aber etwas daran wollte mir doch nicht gefallen. Es dauerte nicht lange, bis ich darauf kam, was das war: die Selbstverständlichkeit, mit der dieses lebende Fossil voraussetzt, er sei selbstverständlich ein Guter, und wer auch zu den Guten gehören wolle, der müsse mit ihm "tosam'steih'n". Nee, nee, Hasso Wieting, dachte ich. So nicht. 

Noch einmal fasste ich den Vers 

"denn schall ick dat woll noch erläben" 

ins Auge, und plötzlich hatte ich einen Geistesblitz. Ich griff zu einem dünnen Filzstift, strich ein kleines o durch und schrieb fein säuberlich ein kleines i darüber. 

"denn schall ick dat woll nich erleben" - 

na also, schon viel besser. Einen Moment lang betrachtete ich mein Werk voller Wohlgefallen und Schadenfreude; dann leitete ich es an den Setzer weiter, mit einem Kribbeln von gespannter Vorfreude auf die Veröffentlichung, das mich seither noch nicht ganz wieder verlassen hat. 

Vielleicht wird Hasso Wieting meine subtile  kleine Textänderung ja gar nicht bemerken. Aber irgendwie wäre das auch schade. Denn dann würde er sich ja nicht darüber ärgern. 


 

1 Kommentar:

  1. Solche Hassos hab ich auch schon kennengelernt. Ich fürchte, die sterben nicht aus.

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